4. Schiffstag

Der heutige Tag steht unter der Devise "Eiszeit". Denn der Kapitän will mit uns bis zur Packeisgrenze vorstoßen. Um 09.00 Uhr kommt dann die erwartete Ansage  von der Brücke: Eisgrenze voraus! Ein unüberschaubares Feld von Eisschollen in unterschiedlichster Größe und Form, von Trapezen über Herzen bis zu Fußballfeldern, breitet sich bis zum Horizont vor uns aus. Was für ein Anblick, ich kann mich auf dem Nature walk gar nicht sattsehen! Unaufhaltsam bewegt sich das Schiff auf die Eisgrenze hinzu und fährt mitten in diesen eisigen Flickenteppich hinein. Als die erste große Scholle unter dem Rumpf bricht, geht ein gewaltiges Rütteln und Schütteln durch das Schiff. Dann knallt es! Man spürt die Kraft des Kampfes zwischen Technik und Natur und hört ein eigentümliches metallisches Ächzen und Dröhnen. Um 10 Uhr 40 vermeldet die Brücke wichtige Informationen zur aktuellen Lage.: wir befinden uns auf 80 Grad und 41 Minuten Nord. Das zusammengeschobene gefrorene Meerwasser hat eine Bedeckung von neun Zehntel. Trotzdem kommen wir mit unserem mit höchster Eisklasse PC6 ausgerüsteten Schiff mit vier Knoten relativ zügig voran. Wir sind auf östlichem Kurs, die Wassertiefe unter dem Kiel beträgt hier etwa 1.200 Meter und die Seewassertemperatur hat gerade mal ein Grad Celsius. Es herrscht kaum noch ein Lüftchen (Windstärke 2) und entsprechend gibt es weder Seegang noch Wellenhöhen. Es sind nur noch 559 Seemeilen, also etwa 1035 Kilometer, bis zum Nordpol, was einer guten Flugstunde mit einem modernen Jet entspricht. Mir wird klar: Näher werde ich es in meinem Leben wohl kaum an diesen extremen Wendepunkt der Erde schaffen! Mit langsamer Fahrt bewegen wir uns durch die ewige, friedliche Eislandschaft, die mir nie langweilig und öde vorkommt. Ich empfinde diese Gegend eher als höchst inspirierend. Ich könnte endlos auf diese weiß-blaue Weite blicken, würde immer neue Farbvariationen und Formkombinationen für mich entdecken. Den Blick über den Horizont schweifen zu lassen, ist herrlich entspannend. Ab und zu verringert die Hanseatic nature nicht nur ihre Fahrt, sondern verharrt einfach bewegungslos im Eis. Es ist, als ob auch die Zeit stillstehen würde, quasi eingefroren. So müssen sich dann auch die alten Seefahrer, Entdecker oder Wissenschaftler gefühlt haben, die unfreiwillig (oder auch freiwillig, wie zum Beispiel bei der MOSAIC-Expedition) im Eis eingeschlossen waren. Allerdings ohne den Komfort an Bord, den wir heute genießen dürfen.

Am frühen Abend findet an Deck das Cocktail-Mixen der Offiziere satt. Musikalisch untermalt von DJ Henrik schlürfen wir uns durch eine wohlüberlegte Auswahl von vier Cocktails, die zur Auswahl stehen. Darunter auch der „Prince of Norway“, der vom Kapitän persönlich gemixt und überreicht wird. Nach unserem Abendessen  im Lido-Restaurantfreuen wir uns auf den „HANSEATIC nature Talk“ mit Kapitän Thilo Natke und Hotelmanager Daniel Beyer. Wir wollen einen Insider-Blick hinter die Kulissen des Schiffsbetriebs werfen, doch noch vor Beginn der Show heißt es plötzlich „Eisbär voraus!“ Kann das denn wahr sein? Zwei Tage vor Ende der Tour doch noch einen Eisbären zu sehen? Und tatsächlich…In einer Entfernung von knapp 500 Metern beobachten wir vom Nature walk eine ganze Weile einen Eisbären, der sich offenbar nicht stören lässt. Mal sitzt er im Schnee und putzt sich, mal rollt er sich im Schnee, dann läuft er wieder weiter. Irgendwann verschwindet er aus unserem Sichtfeld hinter einem Geröllhang. Und wir: gehen glücklich schlafen und freuen uns wie Bolle, endlich "Knut" live hier in Spitzbergen gesehen zu haben, Wunsch erfüllt! Was für ein Eistag!

Fotogalerie